Es ist ein so schönes Beispiel dafür, was alles schiefgehen kann im Leben eines Politikers: Da schreibt ein Schweizer Lokalpolitiker mit offenbar recht wenig technischem Verständnis von Twitter eine Nachricht und wünscht sich darin eine neue Kristallnacht, diesmal aber für Moscheen. Und dann liest das jemand und findet das weder lustig noch irgendwie angebracht. Und als der gute Mann dann auch noch versucht, die Geschichte zu leugnen, fällt sie ihm mit Karacho auf die Füße und zwingt ihn zum Rücktritt. (no puns intended). Der Mann heißt Alexander Müller und es ist nicht sein erster „islamkritischer“ Fehltritt. In seinem Blog findet sich noch mehr. (Wobei man der Fairness halber sagen muss, dass auch das Christentum bei ihm nicht besonders gut wegkommt).
Nun sind ja Äußerungen von der Art des Herrn Müller nicht Neues mehr. Man schaue nur einmal bei PI vorbei. Worin sich all diese selbsterklärten Aufklärer und Retter der abendländischen Kultur bei aller Hetze aber einig sind, ist, dass sie selbstverständlich keine Rechtsextremen sind und dass sie selbstverständlich nicht mit Nazis sympathisieren. Als Beweis dafür wird dann die große Verbundenheit mit Israel im Allgemeinen und dem Judemtum im Speziellen angeführt. Beispiel: Die Pro-Bewegung in Deutschland. Das Problem daran: Ob jemand rechtsextremes Gedankengut hat oder rechtsextrem ist, legt er nicht selbst fest. Man kann nicht hingehen und fordern, dass alle Muslime oder alle Ausländer oder alle Illegalen rausgeschmissen werden, man kann sie nicht mit pauschalisierenden Schimpfwörtern bezeichnen und dann sagen „Ich bin nicht rechtsextrem, von faschistischem Gedankengut distanziere ich mich“. So einfach ist das nicht.
Und weil Islamkritiker ihre „objektiven“ Interpretationen gerne mit Koransuren belegen, sei ihnen hier mit einem Zitat aus der Bibel geantwortet, das bei Matthäus im siebten Kapitel steht:
Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man auch Trauben lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln? Also ein jeglicher guter Baum bringt gute Früchte; aber ein fauler Baum bringt arge Früchte.
Die Früchte der Islamkritik sind Vorurteile, Ängste und damit auch eine zunehmende Trennung in „wir“ und „die“. Sie hat dazu geführt, dass es heute salonfähig ist zu sagen, der Islam sei mit der Demokratie nicht zu vereinbaren, oder der Islam akzeptiere keine Religionsfreiheit. Dass das ausgerechnet hier in Europa gesagt wird, dem Teil der Erde, der Jahrhunderte lang damit beschäftigt war, seine jüdische Bevölkerung zu massakrieren, auszuplündern, zu getthoisieren und aus dem öffentlichen Leben auszuschließen, das ist schon peinlich. Aber man will ja unbedingt aus den Fehlern gelernt haben und hasst jetzt lieber Muslime. Hass aber bleibt Hass. Und zu behaupten, der Islam sei mit unserer Gesellschaft nicht kompatibel, weil ein paar islamistische Spinner das glauben und sich dabei auf den Koran beziehen, ist genauso schlau und aufklärerisch, wie die Behauptung, das Christentum sei mit unserem Gesellschaftssystem nicht kompatibel, weil es ein paar Verrückte gibt, die nur die Bibel als Gesetz ansehen, ihre Kinder aus der Schule nehmen, die Prügelstrafe befürworten, Mädchen in lange Röcke zwingen und sie auf ihre Aufgaben als treusorgende Mütter und Ehefrauen vorbereiten. Wenn sich hier jemand als „Christentumkritiker“ hinstellte, er würde ausgelacht. Islamkritiker dagegen dürfen in Talkshows. Aber sie tun nur so, als sei es innovativ und mutig zu sagen, was sie sagen und zu denken, was sie denken. Es ist im Gegenteil kleinlich, oberflächlich, spießürgerlich und ja, auch rechtsextrem.
Ein fruchtbarer Dialog über die Werte unserer Gesellschaft findet nicht statt. Dabei wäre es mal an der Zeit, Fragen zu stellen. Welchen Stellenwert wollen wir Fremden bei uns einräumen? Was erwarten wir von ihnen und was sollen sie von uns erwarten können? Worüber sind wir nicht bereit, zu verhandeln und warum eigentlich nicht? Wie viel Veränderung können wir ertragen? Wie viel Veränderung hat bereits stattgefunden? Wie wollen und können wir damit umgehen? Wer sind „wir“ eigentlich und wenn ja, wie viele?
Ich habe den Eindruck, die meisten Islamkritiker halten diese Fragen bereits für beantwortet – und zwar mit einem Dreiklang aus: „Das haben wir noch nie so gemacht.“, „Das haben wir schon immer so gemacht.“ und „Da könnte ja jeder kommen.“
Dazu gesellen sich dann meist auch noch nationalistisch-patriotische Äußerungen und es gehört schon fast zum guten Ton, politisch Andersdenkende verächtlich als „Gutmenschen“ oder „linke Chaoten“ zu bezeichnen, die eines Tages schon merken werden, wie schwerwiegend ihr Irrtum war. In der Vorstellung des Herrn Müller aus der Schweiz wäre das spätestens dann der Fall, wenn all diejenigen, die ihm nicht passen, an die Wand gestellt werden. Auch darüber hatte er in seinen Tweets phantasiert. Aber das war bestimmt auch nicht rechtsextrem, sondern überhaupt nicht so gemeint.